Montag, 3. Oktober 2011

Zwischenberricht

Wer interesse hat, hier ist der Zwischenberricht, welchen ich für meine Organisation (ICJA Freiwilligenaustausch Weltweit) anfertigen musste:


Zwischenbericht

Name: Jannis Feigl
Gastland: Bolivien (weltwärts 2011/2012)
Projekt: Amanecer (Cochabamba) / Haus: Sayaricuy
Berichtstyp: Zwischenbericht

„Ein Jahr in Bolivien, das ist schon eine mächtig lange Zeit, so lange war ich noch nie von zuhause bzw. von Deutschland weg."

·         Wie wird es mir in diesem Jahr ergehen?
·         Was werde ich erleben?
·         Wie wird meine Gastfamilie sein?
·         Wie wird meine Arbeit sein bzw. welche Aufgaben werden mir zugeteilt werden?
·         Wie lebt man in Bolivien?
·         Wie ist das bolivianische Essen?
·         Wie sind die Menschen in Bolivien, bzw. was beschäftigt sie im Leben?
·         Ist es wirklich so gefährlich in Süd-Amerika wie man immer hört?
·         Werde ich an der Höhenkrankheit sterben?
·         Werde ich genügend und schnell genug Spanisch lernen?
·         Werde ich viele nette Bolivianer kennen lernen?
·         Wie wird man mich als Ausländer behandeln?
·         Etc………….

So viele Fragen und letzten Endes nur eine Antwort:
·         Lebe dein Leben und finde es raus!
Vor meiner Abreise in Deutschland gingen mir sehr viele Fragen durch den Kopf. Aber eine Antwort auf diese Fragen war vor der Abreise nicht möglich. Dies machte die Vorstellung von einem Aufenthalt in Bolivien zu einem Abenteuer, einem neuen Lebensabschnitt, welchen ich mit Unwissenheit eingehen würde. Ich war mir aber von vornherein schon sicher, dass ich viele neue, interessante und lehrreiche Erfahrungen machen würde.
Die Vorbereitungsseminare waren für mich eine große Bereicherung. Zum einen weil ich viele interessante Menschen kennengelernt habe, welche alle ihre eigenen Vorstellungen bzw. Einstellungen hatten, den Freiwilligendienst anzutreten. Zum anderen hat sich meine eigene Einstellung zwar nicht verändert aber ich wurde durchaus angeregt manche Dinge zu überdenken. Zusätzlich habe ich auch noch viele neue Sachen gelernt, welche mir bis jetzt sehr viel geholfen haben und in manchen Situationen auch sicherlich eine Stütze waren.
Trotz all der Fragen die mir durch den Kopf gegangen waren, schaffte ich es jedoch, mich völlig ohne Erwartungen und Vorurteilslos auf das Jahr einzulassen.
In Bolivien angekommen, sah natürlich alles anders aus als ich es mir vorgestellt hatte. Die Eindrücke prasselten nur so auf mich nieder und schon schnell wurde ich müde, viele Eindrücke mussten zunächst mal verarbeitet werden. Ich hatte schon vorher Erfahrungen dieser Art gemacht (in eine völlig neue Kultur und Umgebung einzutauchen), es ist jedoch jedes mal wieder von neuem interessant und aufregend, jedoch wie gesagt auch zu Beginn sehr ermüdend und teilweise auch überfordernd. Mir wurde jetzt jedoch klar, dass all meine Fragen die ich hatte wohl durch eigene Erfahrungen und Erlebnisse beantwortet werden würden. Dies ist wohl auch der beste Weg seine Fragen zu beantworten, beantwortet man sie sich Schon vorher, besteht die Gefahr, mit zu vielen Vorurteilen, zum Teil auch falschen, schon ein Bild zu haben, welches man dann erstmal wieder aus seinem Kopf bekommen muss.
Die erste Woche in La Paz war eine gute Möglichkeit mich an Bolivien zu gewöhnen und das erlebte zu verarbeiten. Noch dazu war ich mit „Spanisch- Kenntnissen = 0%“ angekommen, dies machte das Leben zu Beginn noch Zusätzlich anstrengend und kompliziert. Auch hierfür war der 1-Wöchige Sprachkurs in La Paz sehr hilfreich.
Dann ging es endlich in meine zukünftige Heimatstadt – Cochabamba. Ich war relativ froh nicht in La Paz leben zu müssen bzw. dürfen, da mir diese Stadt sehr hektisch und chaotisch vorgekommen war. In Cochabamba hingegen war das Klima wesentlich angenehmer, die Stadt in meinen Augen wesentlich ruhiger und  so fühlte ich mich von Anfang an wohl in dieser Stadt. Meine Gastfamilie hatte mich sehr freundlich aufgenommen, auch wenn eine Kommunikation mit meiner Gastmutter zunächst mal nur über die Zwischenstation (mein Gastbruder welcher englisch kann) stadtfand. Zu meinem Glück befindet sich das Haus sehr zentral in der Stadt, sodass ich zu Fuß ins Zentrum laufen kann und die meisten Sachen relativ problemlos per Trufis (Busse bzw. Autos welche bestimmte Linien durch die Stadt fahren) erreichen kann. Zunächst mal war es jedoch sehr verwirrend welche Trufis bzw. Nummern in welche Gegend fahren, dies sollte man wissen, da es so etwas wie einen Bus-bzw. Trufi-Plan nicht gibt.
Relativ bald ging es dann auch mit der Arbeit los. Ich arbeitete bzw. arbeite in einem Projekt namens Amanecer. Das Projekt besteht aus 13 Häusern, welche in der ganzen Stadt verteilt sind. Jedes Haus hat verschiedene Aufgaben, Hauptaufgabe ist jedoch die Versorgung, Bildung und Unterkunft für Straßenkinder und arme Familien. Die Grundidee ist es, Straßenkindern bzw. Jugendlichen allen Alters gerecht zu werden. Angefangen von einer Station für Säuglinge bis zu Häusern in welchen 18-20 Jährige Jugendliche wohnen, welche neben zu schon in verschiedenen Betrieben arbeiten. Mit dem dort über 2-3 Jahre ersparten Geld werden sie dann entlassen um selbständig zu wohnen und ihr Leben von diesem Zeitpunkt  an selber zu finanzieren und zu regeln.
Ich arbeite in einem Haus namens “ Sayaricuy (Übersetzung: Steh auf)“ Hier sind ausschließlich Jungen im Alter von 10-16 untergebracht. Alle Jungen wohnen in diesem Projekt. Manche kommen direkt von der Straße, andere leben dort, weil sie in der Familie nicht gut behandelt werden oder die Familien kein Geld haben um für Verpflegung und Bildung zu zahlen. Die meisten gehen halbtags zur Schule, die andere Hälfte des Tages sind sie im Haus, bekommen Hausaufgabenhilfe und haben auch Zeit Fußball oder sonstigen Freizeitbeschäftigungen nachzugehen. Ein sehr beliebtes Spiel ist es, mit Cachinas (Murmeln) zu spielen.
Meine Aufgabe ist es, den Kindern und Jugendlichen bei den Hausaufgaben zu helfen. Zusätzlich spiele ich oft Fußball und Tischkicker mit ihnen. Ab und zu kommen auch andere Aufgaben hinzu. So habe ich zum Beispiel einen Film über ein einwöchiges Camp geschnitten, bei welchem ich selber auch teilgenommen hatte. Eine andere Aufgabe war es, einen Computerraum einzurichten und die Computer (sehr alte Computer aus den 90-Jahren) zu überprüfen und zu richten. Diese Arbeit war sehr mühsam, da das nötige Werkzeug fehlte. Zudem stellte ich nach dem fertigstellen des Computerraums fest, das es nur eine Steckdose gab. Dies war deutlich zu wenig für 8 Computer und deren Bildschirme. Mir wurde gesagt, dass ein Elektriker kommen würde um das Stromproblem zu richten. Leider ist dies bis jetzt noch nicht passiert.

Am Anfang war es für mich nicht sehr leicht bei den Hausaufgaben zu helfen. Dazu war mein Spanisch einfach noch nicht gut genug gewesen. Diese Situation half mir jedoch auch dabei, die Sprache umso schneller zu erlernen, da ich gezwungen war Spanisch zu reden. Als die Sprachbarriere jedoch überwunden war, begann die Arbeit Spaß zu machen.“ Die Hausaufgabenhilfe wird durch eine Lehrering gleitet. Die Kinder müssen zunächst die Schulaufgaben machen, danach gibt es noch zusätzliche Aufgaben welche die Lehrerin an die Tafel schreibt. So ist meine Aufgabe die Kinder zum Lernen zu motivieren, das Lesen beizubringen und bei den Aufgaben Hilfestellung zu leisten. Zusätzlich bin ich ein großer Bruder, eine Ansprechperson und wenn es Probleme und Auseinandersetzungen zwischen den Jungen gibt, auch problemschlichter.“ Ich merkte von Anfang an, dass meine Tätigkeit den Kindern half und schnell baute sich eine gute Beziehung zu den Jungen auf. Jeden Tag wurde ich herzlichst empfangen, die Jungen hängten sich an mich dran und umarmten mich. Diese Zuneigung ist für die Jungen sehr wichtig, da viele von ihnen Verwahrlost und ohne Zuneigung auf der Straße verbracht hatten oder von ihren Familien sehr wenig Aufmerksamkeit bekommen hatten. Zudem wurde und werde ich immer noch sehr oft über mein Heimatland und mein aussehen ausgefragt. So zum Beispiel warum ich eine andere Hautfarbe habe, warum meine Haare und meine Augen eine andere Farbe wie die der Bolivianer haben, wie es in Deutschland aussieht, ob in Deutschland alle so aussehen wie ich, wie das Geld in Deutschland aussieht usw. Auch dies scheint für die Kinder sehr interessant und meiner Meinung nach auch wichtig zu sein, da die meisten kaum etwas anderes als Cochabamba kennen; da erwecken Personen wie ich (Blond, Blauäugig, Weiß, Groß) doch sehr schnell Interesse.
Auch mit den Erziehern aus dem Projekt verstand ich mich von Anfang an gut. Auch von ihnen wurde ich jeden Tag freundlich empfangen. Meine Befürchtung, dass die Religion in diesem Projekt (es ist ein Katholisches Projekt welches vor 30 Jahren von Nonnen aufgebaut wurde) eine sehr große Rolle spielen würde hatte sich nicht bestätigt. Dies soll nicht heißen das ich ein Problem mit dem Katholizismus oder einer sonstigen Religion hätte, sondern das ich mich unwohl fühlen würde weil ich selbst keiner Religion angehöre. Es wird jedes mal vor dem Essen gebetet und jeden Sonntag gibt es eine Messe, bei der auch Jugendliche, welche bereits eine Arbeit haben, jedoch vorher in dem Projekt gewohnt haben, kommen. Gott und die Religion haben in Süd-Amerika noch einen anderen Stellenwert wie in Europa. Für die Straßenkinder ist es umso wichtiger einen Glauben zu haben, da dies für viele doch eine große Stütze und Hilfe ist. In dem Projekt wird jedoch keine Missionarsarbeit geleistet. So ist die Kirche zwar ein sehr wichtiger Teil und die  Grundidee ist auf den Regeln der Kirche aufgebaut, jedoch ist sie nicht das „oberste Gebot“. Man bedenke, dass der Katholizismus durch die Kolonialisierung nach Bolivien gebracht wurde. Die Indigenen Völker (in Cochabamba sind es die Quechua) hatten bzw. haben einen anderen Glauben. Dieser Glaube hat sich jedoch zunehmend mit den Katholischen Vorstellungen und der Religion vermischt.
Das Leben in Bolivien hatte bisher jeden Tag etwas Neues und Interessantes zu bieten. Zudem habe ich mich nach ca. 2 Monaten schon richtig zuhause gefühlt, weil ich einen angenehmen und spannenden Alltag hatte. In meiner Gastfamilie ging es mir ebenfalls gut. Ich habe mich zwar nicht all zu viel an den Familien - Freizeitbeschäftigungen beteiligt, das lag aber auch zum großen Teil daran, dass ich sehr viele Menschen kennengelernt habe und es immer andere Anlässe und Treffen mit meinen Freunden gab.
Mein Freundeskreis hat sich größtenteils durch Feiern und abends ausgehen gebildet, da ich Tagsüber beim Arbeiten nur mit den Erziehern und den Kindern im Projekt zu tun hatte, welche alle nicht mein alter und/oder meine Interessen haben. Inzwischen kenne ich jedoch sehr viele Menschen, manche von ihnen sind sehr interessante und offene Menschen. Richtig feste Freundschaften haben sich bisher noch nicht Gebildet. Zu Beginn war ich noch mehr mit den Freiwilligen, welche schon 6 Monate vor mir in Bolivien angekommen waren, unterwegs. Zum einen weil diese sehr offen und nett waren, zum anderen weil es für mich eine angenehme Abwechslung war, etwas Deutsch oder Englisch zu sprechen. Nach und nach lernte ich jedoch immer mehr Bolivianer kennen, mit welchen ich viel unternahm. Es war mir von Anfang an wichtig, viel mit Bolivianern zu unternehmen und auch Freundschaften zu schließen, denn nur so lernte ich das Land und die Leute im Endeffekt erst richtig kennen.

Inzwischen sieht meine Situation in Bolivien folgendermaßen aus: Mein Spanisch ist inzwischen doch recht fließend, sodass ich alles sagen- und auch alles verstehen kann. Die Arbeit macht weiterhin Spaß, ist jedoch um ehrlich zu sein etwas eintönig geworden. Das liegt aber auch an meiner eigenen Persönlichkeit, da ich gerne Abwechslung habe und Diese in meiner Arbeit nicht all zu sehr vorhanden ist. Die Kinder sind mir jedoch richtig ans Herz gewachsen und dies zeigt mir auch, dass meine Arbeit weiterhin sinnvoll und wichtig ist. Mit meiner Gastfamilie verstand ich mich von Anfang an gut. Inzwischen führe ich des Öfteren interessante Gespräche mit meiner Gastmutter-auf Spanisch. Sehr froh bin ich darüber, dass ich kommen und gehen kann wann ich will. Somit habe ich alle Freiheiten die ich mir von vorneherein erwünscht hatte. In Cochabamba kenne ich inzwischen so viele Menschen, dass ich fast jedes Mal wenn ich abends ausgehe oder auch tagsüber spazieren gehe, Freunde oder Bekannte  Gesichter treffe. Ich fühle mich hier weiterhin sehr wohl. Inzwischen kenne ich fast alle Routen der Trufis (Kleinbusse), weiß wie viel ein Taxi kosten sollte, sodass ich entweder handeln oder einen anderen Taxi fragen kann, wenn mir ein zu teurer Preis gesagt wird. Ich kenne die Stadt zum größten Teil, vor allem im Zentrum kenne ich mich inzwischen perfekt aus. Auch wenn die Stadt nicht 100% sicher ist, fühle ich mich doch sehr sicher (dies mag daran liegen, dass ich inzwischen die Verhaltensregeln kenne und die Menschen und Situationen besser einzuschätzen gelernt habe). Alles in allem geht es mir also super gut, ich genieße mein Jahr in Bolivien und vor allem das ganzjährig- warme Klima!!